Quelle: 20 Minuten«Idiotisch», «unverantwortlich», «gefährlich»
Die Androhung des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac eines Atombombeneinsatzes gegen so genannte Terrorstaaten hat in Europa scharfe Kritik ausgelöst.
Mit seiner Aufsehen erregenden Äusserung sandte Chirac eine Warnung an Staaten wie Iran, dessen Atomprogramm international am Pranger steht. Und darüber hinaus wollte er sich in die aufkeimende innenpolitische Debatte über die Frage einmischen, ob das hoch verschuldete Frankreich sein teures nukleares Abschreckungspotenzial nach der Ära des Kalten Krieges noch benötigt.
Chirac, dessen zweite und vermutlich letzte Amtszeit sich ihrem Ende nähert, legte in seiner Rede eine neue Doktrin für die französische Militärmacht im 21. Jahrhundert vor, die die Bedrohung durch den Terrorismus berücksichtigt. Darin drohte der Präsident nicht näher genannten «Führern von Staaten, die terroristische Mittel gegen uns einsetzen würden» eine «entschlossene und angepasste Antwort» an. Beobachter und Präsidentenberater erklärten, dabei habe er kein bestimmtes Land im Sinn gehabt. In Zeitungskommentaren wurden seine Äusserungen aber als gegen den Iran und möglicherweise Nordkorea gerichtet ausgelegt.
Chiracs Forderung, die EU müsse ihre Abschreckungswaffen mit der Perspektive auf ein starkes Europa zusammenlegen, schien im Ausland zunächst auf geringe Unterstützung zu stossen. Und das Ausmass der Kritik legt nahe, dass dafür wenig Aussicht besteht. «Jacques Chirac ist ein Idiot», schrieb die belgische Tageszeitung «De Morgen» in einem Leitartikel. «Er lebt in einer Zeit, in der Frankreich nicht länger Weltmacht ist, aber er tut noch immer so, als verlängere er eine napoleonische Dynastie.» Die spanische Zeitung «El País» nannte die Rede «radikal und gefährlich».
Vielen missfiel die Wahl des Zeitpunkts. Frankreich, Deutschland und Grossbritannien bemühen sich seit Monaten, den Irak in Verhandlungen zu Garantien zu bewegen, dass er keine Atomwaffen entwickeln werde. Auch die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats wird inzwischen erwogen. Derartiges Säbelrasseln angesichts der gegenwärtigen Krise über das iranische Atomprogramm sei im Grunde das falsche Signal, sagte Xanthe Hall von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) in Berlin.
«Ein bisschen dramatisch und provokativ»
Wenn Chirac im kommenden Jahr aus dem Amt scheidet, hat er der Atompolitik seines Landes unauslöschlich seinen Stempel aufgedrückt. Kurz nach seinem Amtsantritt 1995 löste er einen internationalen Sturm der Entrüstung aus, als er letzte französische Atomtests im Südpazifik anordnete. Die konservative Mailänder Tageszeitung «Il Giornale» schrieb, die «pazifistischen Sympathien» für Chirac wegen seiner Ablehnung des Irakkriegs seien offenbar abgeflaut.
Das französische Atomwaffenarsenal, das auf rund 300 überwiegend auf U-Booten gelagerte Sprengköpfe geschätzt wird, wird in erster Linie als Mittel der Abschreckung gesehen und ist nicht für den Kampfeinsatz gedacht. Beobachter vermuteten zunächst einen innenpolitischen Hintergrund für Chiracs Äusserungen: Aktivisten und sogar Militärkreise haben die jährlichen Betriebs- und Instandhaltungskosten des Arsenals in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro in Frage gestellt.
Doch auch im eigenen Land stiess die Rede auf Kritik. «Wieder eine Perle in den Worten Chiracs - aber diese ist ein bisschen dramatisch und provokativ», sagte Alain Krivine von der Revolutionären Kommunistischen Liga im französischen Fernsehen. «Das ist eine völlig unverantwortliche Erklärung.»
Zurückhaltung bei den Verbündeten
Bei der NATO wurde am Freitag gelassen auf die Rede von Jacques Chirac vom Donnerstag reagiert. Offiziell nahm das Nordatlantische Bündnis nicht Stellung. «Wirklich überrascht sind wir aber nicht», sagte ein hoher NATO-Beamter in Brüssel.
Der französische Präsident hatte den Einsatz der «Force de Frappe» gegen Staaten, die den Terror unterstützen oder die Energieversorgung Frankreichs gefährden, ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Solche Überlegungen liegen doch nahe», hiess es in Brüssel.
Die US-Regierung in Washington äusserte sich zurückhaltend zur Drohung Chiracs. Aus deutscher Sicht bedeutete Chiracs Rede keine Kursänderung in der Iran-Politik. «Es gibt keinen Zweifel, dass Frankreich in enger Abstimmung mit Grossbritannien und Deutschland im Kreis der EU-3 eine Position vertritt, die abgestimmt ist», sagte ein Regierungssprecher. Die britische Regierung hielt sich in der Frage bedeckt, ob sie Atomwaffen gegen Terrorstaaten einsetzen könnte.
Ich stell das mal einfach in den Raum...