Inmitten der schroffen, kalten Gipfel der Schweizer Alpen gibt es keine Postkartenidylle. Paysage d’Hiver, das Projekt des Berner Musikers Wintherr, nimmt uns mit "Die Berge" mit auf eine Reise, die fernab von Sonnenschein und grünen Wiesen stattfindet. Dieses dritte reguläre Album, das am 8. November 2024 veröffentlicht wird, entfesselt die erhabene und zugleich gnadenlose Natur dieser Berge und taucht tief in die dunklen, unversöhnlichen Schatten, die zwischen den Gipfeln lauern. Mit einer Laufzeit von über 100 Minuten führt uns Wintherr durch ein musikalisches Hochgebirge, dessen Schönheit so gefährlich ist wie seine Kälte.
Schon beim ersten Hören wird klar, dass "Die Berge" eine Hommage an die monumentale Kraft der Alpen ist. Jeder der episch langen Tracks erhebt sich wie ein Bergmassiv aus der kargen Landschaft des Raw Black Metal. „Urgrund“, das Album eröffnend, ist der musikalische Urknall – ein donnernder, fast archaischer Ruf aus dem Fels, der den Hörer sofort in eine Welt versetzt, in der die Gesetze der Zivilisation nicht gelten. Hier existiert nur die Natur in ihrer rohen Form, und der Mensch ist ein Fremder, ein Wanderer, der sich seinen Platz in dieser feindlichen Umgebung suchen muss.
Wie schon bei früheren Werken verschmelzen in "Die Berge" die Klänge von Black Metal und Ambient zu einem unaufhaltsamen Strom, der wie ein Fluss durch das Eis bricht. Dabei wirkt Wintherrs Komposition nicht weniger erhaben als die Berge selbst: mächtig, unbezwingbar und doch von einer tiefen, melancholischen Schönheit durchdrungen. Die Tracks „Transzendenz I–III“ zeichnen den Aufstieg des mystischen Protagonisten, des Wanderers, nach, dessen Reise an den Rand der menschlichen Existenz führt. Der scharfe, kalte Wind, der durch die Riffs pfeift, erzählt von der spirituellen Suche nach Erleuchtung – oder vom endgültigen Ende dieses Weges.
Thematisch bleibt "Die Berge" in der Mythologie von Paysage d’Hiver verwurzelt. Der Wanderer, eine zentrale Figur in Wintherrs Schaffen, steht diesmal vor seiner letzten Herausforderung: dem Gipfel des Todes. Vergleiche mit dem Zen-Mönch, der sich zum Sterben in die Einsamkeit der Berge begibt, sind hier unvermeidlich. Das Album atmet eine Philosophie der Vergänglichkeit und der Endlichkeit des Seins. In „Verinnerlichung“ und „Ausstieg“ wird diese Idee zur klanglichen Meditation über das Sterben und die Rückkehr in den Urzustand. Der Berg, in seiner unendlichen Beständigkeit, wird zum Sinnbild für die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber menschlichem Leben. Die Musik vermittelt dies auf eine zutiefst eindrucksvolle Art: eindringlich, düster und fast hypnotisch.
Es wäre ein Fehler, "Die Berge" als reines Ambient- oder Atmosphärenwerk abzutun. Die rohe Kraft des Black Metal ist hier allgegenwärtig, in der Wildheit der Gitarren, im unnachgiebigen Drumming und in Wintherrs harsch bellenden Vocals. Doch es gibt auch eine fast erhabene Klarheit in der Produktion, die es dem Hörer ermöglicht, jeden einzelnen, klirrenden Akkord wie eine kalte Schneeflocke auf der Haut zu spüren. Der Vergleich mit Bands wie Darkspace oder Burzum ist naheliegend, doch Paysage d’Hiver bleibt seiner ganz eigenen Vision treu. Während Wintherr mit Darkspace die unendlichen Weiten des Kosmos in Musik kleidet, bleiben Paysage d’Hiver's Horizonte in der irdischen Sphäre verankert, in den erhabenen und tödlichen Landschaften der Alpen. Hier gibt es keine Flucht in den Weltraum – nur das Aufeinandertreffen von Mensch und Natur, von Leben und Tod.
Mit "Die Berge" hat Paysage d’Hiver ein Album geschaffen, das den Hörer in die klaustrophobische und zugleich grenzenlose Welt der Alpen entführt. Es ist eine Reise, die sowohl physisch als auch spirituell ist, eine Erkundung des Todes und der menschlichen Endlichkeit in einer Welt, die so unbeeindruckt von unserer Existenz ist wie die Berge selbst. Majestätisch, düster und kompromisslos, gelingt es Wintherr einmal mehr, die Essenz seiner Heimat in Klang zu verwandeln – und damit ein Werk zu erschaffen, das ebenso bedrohlich wie schön ist.
Wer bereit ist, diese alpine Reise anzutreten, wird reichlich belohnt – doch es gibt keinen leichten Weg zurück. In "Die Berge" herrscht der ewige Winter, und der Wanderer, der sich aufmacht, wird vielleicht nie wiederkehren.
Albuminfo
Punkte |
4/5 |
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Label |
Kunsthall |
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Veröffentlichung |
11/2024 |
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Format |
CD |
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Land |
Schweiz | |
Genre |
Black Metal |
Tracklist
1. Urgrund
2. Verinnerlichung
3. Transzendenz I
4. Transzendenz II
5. Transzendenz III
6. Ausstieg
7. Gipfel